Wie ein Bär im Winterschlaf zieht sich die Kraft des Bacchus ins Wurzelholz zurück und harrt aus, bis die Tage wieder länger, wärmer, sonniger werden…
Die Weinlese ist vorüber, die Trauben sind gepresst, der Most fermentiert, der Wein ruht im Fass - und reift. Der Weinberg atmet auf. Er mag es nicht, wenn zahlreich Menschen über die Erde, in der seine Wurzeln stecken stapfen, dazu menschlicher Lärm von Morgengrauen bis Sonnenuntergang. Womöglich Traktoren, die zwischen den Reben hindurch tuckern und den Boden zum Erbeben bringen. Die Lese bringt den Kreislauf der Natur zu Ende, nach der Ernte haben die Rebstöcke nichts mehr zu tun, ihre Nährstoffe finden keine Ranken, keine Früchte mehr, die Tage werden kürzer, das Sonnenlicht weniger, die Nächte kühler.
Die Stöcke machen sich bereit für den Winterschlaf. Ihr Laub verliert sein kräftig leuchtendes Grün, die Blätter welken, verfärben sich zu Gelb, Orange, dunkelrot, braun, und fallen herab. Gut so. Nebel und Frühtau zersetzen das Laub, es vermischt sich breiig geworden mit Muttererde, der Weinberg düngt sich dadurch selbst und gibt Nährstoffe ab an robuste Winterwildkräuter, die den Boden zwischen den Reben begrünen und Mineralstoffe in sich aufnehmen.
Von außen betrachtet, ein Prozess, der von allein passiert. Der Weinberg überwintert, sobald die Rebstöcke nackt dastehen. Sämtliche Nährstoffe aus Ranken, Gezweig und Geäst, ziehen sich in den unteren Teil des Stammes zurück. Wildromantisch anzusehen, vor allem im Frühnebel, wenn über den Weinbergen Nebelfinger lechzen und Stille herrscht, könnte man glauben, die Weinstöcke frieren, so knorrig verschwurbelt stehen sie da.
Da gibt es bestimmt nur wenig zu tun, magst du denken, doch im Winter wartet auf die Winzer eine Menge Arbeit, die größtes Fingerspitzengefühl erfordert, Geduld, und Hingabe an Natur und Weinstock: das Beschneiden und Trimmen aller Rebstöcke.
Auf Englisch »pruning«, auf Portugiesisch »podar vinhas«. Das Ritual des Trimmens gleicht einem Tanz mit dem Weinberg. Keine Lage liegt gleich exponiert, jede Rebsorte verhält sich selbst im Winter anders, bei Regen sollte man Stöcke niemals schneiden, und am besten noch den ersten Frost vor dem Trimmen abwarten. Bei etlichen Hektar muss das »podar vinhas« ausgeklügelt geplant werden, vor allem, wenn sie von Hand geschieht. Was natürlich viel aufwendiger ist, und kostenintensiver, aber letztlich die Quantität der kommenden Ernte und die Qualität der Traubenauslese mit jedem Schnitt mit der Weinrebenschere maßgeblich bereits im Winter beeinflusst.
Zu früh beschnitten, blutet der Rebstock aus, zu spät beschnitten, unterbricht man den bereits neu beginnenden Wachstum. Rebsorten, deren Früchte später reifen, trimmt man zuerst, die Frühreifenden, zuletzt.
Fazit: Weinbauern arbeiten von Anfang Januar bis Anfang März jeden Tag im Weinberg.
Zuvor wird der Weinberg zusätzlich mit zum Beispiel Pferdemist gedüngt und mit dem Zusetzen von Mineralstoffen im Boden genährt. Das alljährliche Beschneidungsritual der Reben beginnt mit dem Frisieren, das bedeutet, alle verholzten Ranken der vergangenen Saison werden abgeschnitten, oder gekürzt, und bleiben auf dem Boden zum natürlichen Verrotten liegen. Besonderes Augenmerkt während dieses ersten Arbeitsschrittes ist das Holz. Der Stock wird untersucht, ist er gesund, kräftig, unverletzt, fällt der Weinbauer die nächste Entscheidung. Welcher Zapfen am sich austreckenden Arm bleibt stehen und wie viele Triebe sollen aus ihm treiben.
Die Anzahl hängt von der Rebsorte ab. Ist es eine für Sortenwein, setzt der Weinbauer auf niedrigere Quantität, dafür auf höhere Qualität und bestimmt durch den Schnitt am Ast-Auge die Menge Triebe. Je weniger Triebe sprießen, desto höher konzentriert nehmen die anzahlmäßig reduzierten Ranken Mineralische Salze des Terroir auf. Früchte und Saft kompensieren die Stoffe und bescheren dem Most gleich während der Pressung sein für die Rebsorte charakteristisch intensives Bouquet, das die doppelte Menge Ertrag Traubensaft derart gehaltvoll nicht in sich vereinen könnte. Weinstöcke, die im Winter bewusst vom Weinbauern auf Qualität getrimmt werden, sind ältere Jahrgänge, deren Trauben wuchtige Weine für die Reifung im Barrique hervorbringen. Umgekehrt lassen Weinbauern an anderen Weinsorten, die zum Beispiel Cuvés bedienen, beim Trimmen 3-4 Triebe stehen, pro Rebstock-Arm an jeweils 2 -3 Augen. Wie viele Augen Pro Arm austreiben, hängt wiederum vom Alter des Weinstocks und von seiner Größe und der Stockform ab. Ob er als »double cordon« wie eine Gabel verzweigt wächst, einarmig als »single cordon« verschwurbelt seinen Ast austreckt, oder am Kopfstamm getrimmt, lediglich dünnere Arme »single guyot«, in eine oder als »double guyo« in zwei Richtungen wächst.
Nachhaltig arbeitende Quintas legen sich aufgrund all dieser Kriterien jedes Jahr wieder einen für jede Lage anders maßgeschneidertes Logbuch an, um nach der Weinlese zu prüfen, ob ihre »Erziehung« der Weinstöcke erfolgreich war. Die Beschneidung fällt in jedem Jahr anders aus, denn kein Winter gleicht dem anderen. Regenzeiten kann niemand voraussehen.
Ein erfahrener Weinbauer benötigt für einen Hektar Beschneiden in Handarbeit etwa 100 Stunden, oder zwölf Tage. Auf Weingütern mit mehreren Dutzend Hektar benötigt man deswegen für das Trimmen ein vom Winzer gut ausgebildetes und orientiertes Team.
(Foto: Quinta dos Vales)
„Mitarbeiter, die eine Schere zu führen wissen, müssen das sein“, erklärt der Winemaker David Corticeiro von der Quinta dos Vales in Lagoa in der Algarve, denn bloß „irgendwie“ sollte man den Stock nicht trimmen. Jeder Schnitt muss sauber ausgeführt werden, damit das Holz nicht blutet, oder Wunden im Holz hinterlässt, durch die der Stock Nährstoffe verliert und Angriffsfläche für Pilzsporen oder andere Schädlinge bieten könnte.
Die Liebe zum Wein liegt in der Hand des Winzers, eine uralte Weinbauernweisheit, der wegen der Arbeitsprozesse am überwinternden Weinberg, viel Sinn macht.
Sorgfältig getrimmte Rebstöcke danken es dem Winzer mit vor Kraft strotzenden Trieben, an denen pralle Dolden mit saftigen Weinbeeren wachsen. Rebstöcke erreichen durch liebevolle Handpflege außerdem ein hohes Alter und bleiben ihr Leben lang ertragreich. Eine gesunde und nachhaltige Symbiose zwischen Muttererde, Weinstock, und Mensch.
Steigt die Sonne, die Tage werden länger, die Nächte lauer, erwacht der Weinberg. Rebstöcke strecken sich, saugen durch Wurzel und Stamm nährreiche Stoffe aus dem Terroir, die in die getrimmten Triebe schießen. Anfang oder Mitte März, je nach geografischer Lage, platzen die Schnittstellen auf, hervor brechen Knospen. Grün, zartrosa geäderte Knubbel, aus denen sich alsbald frühlingsgrünes Weinlaub aufblättert. „Ab jetzt ist die Sonne dran“, lacht David Corticeiro.
Vorschau auf den nächsten Artikel:
Aus Weintrauben wird bekanntlich nicht nur Wein gewonnen, auch Likörwein, Hefeschnaps und Weinbrand. Was Portugals diesbezüglich an feinen Spirituosen bietet, erfahrt ihr im nächsten Beitrag.
REZEPT: Salada Primavera com Favas e Nozes
Im Januar und Februar blühen überall in Portugal Mandelbäume, deren zauberhafte Blüten tupfen die Landschaft unter strahlend blauem Winterhimmel wie auf einem Naiven Gemälde rosa und weiß. Wollmispeln reifen zu saftig exotischen Früchten heran – und im Garten Dicke Bohnen »Favas«. „Geh gefälligst »Favas« pflücken“, ist hierzulange ein gängiger Ausspruch, wenn du jemanden in die Wüste schicken willst.
Zutaten und Vorbereitung:
- 1 kg Dicke Bohnen in der Schale oder 500 g bereits entkernte aus der Tiefkühltruhe
- 1 Knoblauchzehe, schälen und würfeln.
- 2 Orangen mit dem Messer schälen und filetieren
- Eine Handvoll Wallnusskerne zerbröseln
- 1 Frischkäse in Würfel schneiden
- Koriander nach Gusto fein wiegen
- Olivenöl, Meersalz, Kreuzkümmel
Zubereitung:
- Die Bohnenkerne döppst du aus der Schale. den Fortsatz knibbelst du mit dem Daumennagel ab und packst den Kern aus der Haus aus.
- Jeder Bohnenkern besteht aus zwei Hälften, die du mit einer Messerklinge leicht trennen kannst.
- Bohnenkernhälften waschen und abtropfen lassen
- In einer Pfanne in Olivenöl die Bohnenkernhälften mit den Knoblauchwürfeln zusammen al-dente sautieren, salzen und mit einer gut bemessenen Prise Kreuzkümmel würzen.
- In einer Salatschüssel mischst du die Orangenfilets mit den Käsewürfeln, den Wallnussbröseln und dem Koriander, dann hebst du die noch lauwarmen Bohnen unter, dazu gibt’s Stangenbaguette und einen leichten Rosé, am besten von der »Quinta de la Rosa« aus der Vinho Bar.
Fotos: Catrin Ponciano, Canva, Quinta dos Vales
Autorinnen-Steckbrief – wer schreibt?
Olá, ich bin Catrin Ponciano. Portugal ist meine Wahlheimat seit 1999. Bis 2006 war ich Küchenchefin, dann habe ich in Portugal das Messer gegen einen Stift als Werkzeug getauscht. Seither veröffentliche ich redaktionelle Beiträge und Blogs über Portugals Kultur, Geschichte, Politik, über Land und Leute, über Kulturerbe, Musik und Kunst, und über allerfeinste Speisen, Märkte, Weine, und Liköre. Als Schriftstellerin publiziere ich literarische Reisebücher, Essays, und Kriminalromane am Schauplatz Portugal. Als Kulturvermittlerin begleite ich Bildungsreisen, Journalistenreisen und TV-Drehteams. Wer mehr über mich erfahren möchte, schaut und liest hier weiter: www.catringeorge.com