Es heißt, die Heilig gesprochene Königin Santa Isabel von Aragon habe jeden Tag in ihrem Boudoir im Königinnenpalast in Estremoz am Fenster gesessen, stundenlang ihr hüftlanges Haar gekämmt und sehnsüchtig gen Osten geblickt. In die Berge der Spanischen Estremadura. Weit reicht der Blick aus dem winzigen Fenster in der heute zur Kapelle umgebauten ehemaligen Schlafräume der Königin, tatsächlich. Bis zu den Bergzügen »Serra da Ossa« gen Südosten, »Serra de São Mamede« im Nordosten, in die »Serra de São Brissos«, gen Westen. In das einstige Ankleidezimmer der Königin gelangt man durch eine versteckte Tür am Altar. Zugang zu der kleinen mit Fliesenbildern aus dem Leben und Wirken der Königin ausgestattete Kapelle gewährt eine ältere Senhora, die alle Schlüssel zu den Kirchentüren in der historischen Burg »Santa Maria de Estremoz« hütet. Du findest die »Senhora« entweder an Rezeption in einem Ledersessel im Foyer in der zur Luxusherberge umgebauten alten Festung sitzend oder an ihrem ambulanten Verkaufstisch in der Pfarrkirche »Igreja Matriz Santa Maria« mit den beeindruckenden Säulen und Gewölbedecken gleich gegenüber der Burg. Dort bietet die Schlüsselhüterin religiöse Heilsbringer an. In den imposanten Wachturm der alten Feste, er ist übrigens ganz und gar aus Marmor erbaut, kannst du hinaufsteigen. Der Zugang befindet sich im Innenhof Atrium des Hotels.
Aber nicht nur der Sentinel, die Kirchenfassade, die Gewölbe und der größte Teil des einstigen Königinnenpalastes, sowie die lebensecht wirkende Statue der Santa Isabel auf der Aussichtsterrasse davor bestehen aus Marmor, ganz Estremoz leuchtet im Glanz des glatten Gesteins, das direkt aus den Marmorsteinbrüchen der Umgebung stammt. Der größte Schatz der Region liegt unter Estremoz und Umgebung ausgebreitet, Marmorstein sorgt bereits seit Römerzeiten für Wohlstand und Arbeit satt. Der cremefarbene, fein gemusterte Stein muss schließlich bearbeitet werden. Bautechnisch vor allem, denn nicht nur die Häuser, sogar die Abflussrinnen für Regenwasser sind in Estremoz aus Marmor. Bildhauer verwandeln das kostbare Material zu Büsten, Skulpturen, Heiligenikonen, und gravieren Ornamente. Wenn du dir einen Steinbruch anschauen möchtest, kannst du eine geführte Tour im Tourismusbüro buchen.
Berühmt ist Estremoz besonders wegen seiner Püppchen aus Ton modelliert, gebrannt, und präzise bunt bemalt glasiert. Populäre Heiligenfiguren zählen dazu, Volkshelden und der »Blinde Engel der Liebe», die zum immateriellen UNESCO-Welterbe gekürt wurden. Überall in Estremoz stößt du deswegen auf Ateliers, in denen die »Bonecos de Estremoz« wie eh und je, liebevoll von Hand geknetet, geformt und bemalt werden, deswegen ist jede Figur ein Kunstwerk aus sanfter Meisterhand.
Die Innenstadt von Estremoz atmet Historie ein und aus. Als Schauplatz diverser Konflikte mit dem einst ungeliebten Nachbarn Spanien, blieb der ursprüngliche Stadtkern hinter mehreren Wehrfestungen erhalten. Auf deinem Erkundungsgang vom Königinnenpalast abwärts führt der Weg etwa zu etlichen sehenswerten Kirchen, zum »Berardo« Azulejo-Fliesenmuseum, zum emblematischen Wasserspiegel »Lago da Gadanha« mit Saturnstatuette im Zentrum, oder zum ersten Caféhaus am Platz »Águias D`Ouro« in ein verspieltes Art-Deco-Jugendstil Haus.
Zurück auf dem Burghügel ruht dein Blick auf der Weite der Hochebene, die Estremoz umarmt und wie zufällig in die Landschaft hinein gestreute Landgüter, die sich inmitten eines Meeres aus Weinreben, Olivenhainen und Feldern erheben. Eines davon existiert bereits in der 13. Generation. Die »Herdade das Servas«.
Tomé Francisco hat vor über 350 Jahren den ersten Weinberg von der königlichen Grafschaft Vila Viçosa gepachtet und musste damals ein Drittel seines Weinertrages als Lehen abgeben. Nach altbewährter Manier fermentierte der Most noch im Tonfass. Tomés Urenkel pachteten Land dazu, bauten den Weinanbau aus, so dass die Familie im Jahre 1811 mit etwa 40.000 Liter Wein, oder damals gerechnet mit 2.375,15 »Almudes do Vinho«, zu einem der größten Weinbauern der Region aufstieg. Im Jahre 1940 begann die Familie dann ihren Wein in Flaschen abzufüllen, seit 1998 keltert die Familie Mira unter dem Label »Herdade das Servas«, Wein von insgesamt 380 Hektar Anbauterrain. Francisco Mira wird traditionell »O patrão«, der Patriarch genannt, und Luis Mira kümmert sich um die Produktion.
Im Alentejo geschieht der Alltag zwischen Himmel und Erde nach eigenen Regeln. Das wissen Bauern, Viehzüchter, und Weinbauern auch. Seit 350 Jahren folgt die Familie Mira deswegen ihrem Grundprinzip: Gute Trauben bescheren gute Tropfen, und gute Reben wachsen nur auf sorgfältig gehegten Böden in achtsam gepflegter Umgebung.
Will heißen, Nachhaltigkeit wurde und wird auf dem Landgut mit Großbuchstaben geschrieben und davon erzählt der mehrere Jahrhunderte bereits andauernde Erfolg des Familienunternehmens. Biologische Landwirtschaft passiert hier im Einklang mit dem Weinanbau. Der hauseigene Weingarten ist in ausgesuchte Parzellen geteilt, die sich wie ein Puzzle um das Mutterhaus schmiegen. Das gesamte Terrain dehnt sich auf unterschiedlichen Terroirs aus, wovon jedes einzeln für nur ganz bestimmte Trauben geeignet ist. Die Weinberge reflektieren somit das Ergebnis von dreizehn Generationen Erfahrung mit Weinpflanzen und ihren Bedürfnissen. Altmodisch geht es allerdings ganz und gar nicht auf dem Weingut zu. Im Gegenteil. Neben den klassischen Rebsorten des Alentejo gedeihen auf der »Herdade das Servas« ebenso moderne Sorten, die für eine große Nuancenvielfalt im Sujet sorgen.
Besonders hervorzuheben wäre hier der »Rosé Sangiovese«. Ein Mono-Kasten-Wein, bis zehn Jahre haltbar, schmiegt sich dieser elegante Rosé überraschend blumig fruchtig und gleichzeitig trocken im Barrique gereift an den Gaumen, und geht am liebsten mit Sushi oder mediterranen Speisen. Oder der Weißwein »Vinhas Velhas«, im Tonfass gereifter »Arinto« mit einem Hauch »Roupeiro«, der das mineralreiche Aroma des irden Amphoren ähnelnden Gefäßes in sich einsaugt, das sich mit harmonisch bittersüßen Grapefruit Nuancen allmählich erst vollmundig im Mund entfaltet. Der Antagonist heißt »Herdade das Servas Vinhas Velhas«. Als lukullischer Sparringpartner zu Wild oder Fleischgerichten vom »Porco Preto«, punktet der violett schimmernde »Tinto« mit warmen Aromen aus dem Barrique mit leicht rauchigem Bouquet und satten Abgang nach Kirsche und Pflaume. Der »Petit Verdot« besticht mit einem harmonischen Duftrepertoire aus Waldfrüchten, Bachminze und einem Hauch Bitterschokolade. Ein großer Roter, der sein eigenwilliges Spektrum am liebsten in Begleitung mit kräftigem Käse und Walnüssen preisgibt.
Qualität statt Quantität lautet das Firmencredo. Neunzig Prozent der Gesamtproduktion reift erst im Barrique, danach in der Flasche. Seit 2018 setzt Luís Mira in Abstimmung mit dem für den Alentejo zuständigen regionalen Weinanbauinstitut CVRA, in stolzer Pionierarbeit die Jahresplan-Aktion für Nachhaltigkeit im Weinberg um. Achtsam im Andenken an die Ahnen mit Blick in die Zukunft - das schmeckt man bei jeder Sorte.
Vorschau auf den nächsten Artikel:
Der Poet unter den Weinbauern
In Estremoz geht kein Weg an ihm vorbei: Miguel Louro ist Ikonenbrecher, Genie und Provokateur, der sich einst mit einem Pokergewinn nicht den Jugendtraum Porsche erfüllt hat, sondern den Weinbauernhof von der Quinta do Mouro kaufte .… » (erscheint am 01. Juni 2023)
REZEPT
Mediterraner Lupinensalat mit Walnüssen
Das Rezept zu Estremoz mit Weinempfehlung:
Der Name »Estremoz« leitet sich lautmalerisch von »Tremoços« ab, zu Deutsch Lupinenkerne. Einst sollen sich Leute auf der Flucht niedergelassen haben und Lupinen für sich als Nahrung und für ihre Weidetiere als Futter angebaut haben. Ihnen verdankt die Gegend den Namen »Campo de Tremoçeiros«, woraus sich zunächst »Stremoz« und später »Estremoz« gebildet hat. Lupinen sind besonders nahrhaft, und man nennt sie im Volksmund „Schaltiere der Armen“. Gedünstet und in Salzlake eingelegt, naschen Portugiesen Lupinenkerne zum Aperitif. Du kannst aber noch allerlei mehr aus Lupinenkerne zubereiten, zum Beispiel:
Mediterraner Lupinensalat mit Walnüssen
Du nimmst 400 g Cherrytomaten, gerne mehrfarbig, wäschst und halbierst sie. Dazu Walnusskerne nach Gusto zu groben Krümeln geknackt. Du zupfst ein Bund Rucola klein und faltest 2 Roma-Salatherzen in einzelne Blätter auf. Den Salat waschen, abtropfen und auf einer Servierplatte ausbreiten. Dann nimmst du 250 g Lupinen in Lake dazu, wäschst die Kerne unter kaltem Wasser und würzt sie anschließen großzügig mit Meersalz, Oregano und einer Prise süßem Paprikapulver. Dazu würfelst du 1 rote und 1 gelbe Paprika in Würfel, und verteilst die Walnussbröckchen, Paprikawürfel und Lupinenkerne gleichmäßig auf den Salat.
Für das Dressing brauchst du Balsamico, Honig, 1 Messerspitze mittelscharfe Senf, Pfeffer aus der Mühle, und einen guten Schuss Olivenöl. Das Dressing träufelst du über den Salat, und servierst eine Käseplatte und Sauerteigbrot dazu.
»Bom appetit«
Wein-Empfehlung aus der Vinho Bar: Zu dem mediterranen Lupinensalat passt besonders gut aus dem Hause »Herdade das Servas« der »Sem Barrica – Unoacked« Rotwein von 2021.
Autorinnen-Steckbrief – wer schreibt?
Olá, ich bin Catrin Ponciano. Portugal ist meine Wahlheimat seit 1999. Bis 2006 war ich Küchenchefin, dann habe ich in Portugal das Messer gegen einen Stift als Werkzeug getauscht. Seither veröffentliche ich redaktionelle Beiträge und Blogs über Portugals Kultur, Geschichte, Politik, über Land und Leute, über Kulturerbe, Musik und Kunst, und über allerfeinste Speisen, Märkte, Weine, und Liköre. Als Schriftstellerin publiziere ich literarische Reisebücher, Essays, und Kriminalromane am Schauplatz Portugal. Als Kulturvermittlerin begleite ich Bildungsreisen, Journalistenreisen und TV-Drehteams. Wer mehr über mich erfahren möchte, schaut und liest hier weiter: www.catringeorge.com